24 Stundenlauf Delmenhorst

24 h –Wahnsinn oder mit der Uhr „rund“ laufen… -Von Angst bist Zuviel des Guten…

3,5 Marathonläufe an einem Stück-„Krieg zwischen Psyche und Körper“

Nachdem ich in den letzten Wochen schon reichlich viel, zuviel für meine Langstreckenseele machte (2 Marathonläufe in 14 Tagen; beide mit Zeitambitionen) stand nun, weitere 2 Wochen später, der als Spendenlauf ausgeschriebene 24 h Burginsellauf in Delmenhorst bei Bremen auf dem Plan. Für den Förderkreis der Grundschule Kohlberg hatte ich meinen Einsatz zugesagt und im Internet, sowie in einem Zeitungsaufruf um rege Spendenbeteiligung gebeten.

Nachdem mir nach Stockholm ein wenig die Beine „durchhingen“ und ein Gefühl der Lauflustlosigkeit aufkam, wusste ich, dass ich im sog. „Übertraining“ war. Mein „Ultratrainer“ und Ansprechpartner für Langläufe Thomas Eller gab mir wertvolle Hinweise, wie ich an der 200km-Marke kratzen könnte.(„ Lauf keinen km schneller als 6:45 min., also ca. 8 km/h (Mein Wettkampftempo beträgt je nach Strecke um 4 -5 min.12-15 km/h) und versuche ohne Pause durchzukommen, iss und trink beim Laufen, das hast Du drauf“;  „Gut und schön, dachte ich, aber zuhause esse ich auch nicht, während ich in der Wohnung umhertigere…,“ war mein Gedanke. Es war ein Zwiespalt der Gefühle, einerseits die Neugier vor unbekanntem Terrain, andererseits die Angst vor gesundheitlichen Schäden. Ich möchte läuferisch noch so viel erreichen „Dir ist dieses Jahr alles zuzutrauen“, waren sich alle rundherum einig! Also los, auf die nächste Reise : Ich, kann  mich in Ruhe nach dem Kölnpfad über 171km (als Staffel) im Juli auf die 100 km in Leipzig (20.August) vorbereiten, die ich unter 10-11 h packen möchte. Da stoßen taktisch 2 Welten aufeinander: Für mich als Marathonläufer, der nur auf 42km trainiert, steht auf einmal  das 2,5fache auf dem Plan und auf der anderen Seite das langsame aber kontinuierliche Langdistanzlaufen, bei dem die Zeit im Grunde egal ist. 24 h bleiben 24 h.. Ich hätte doch besser Mittelstrecke machen sollen?! Diese Ultraläufe mache ich auch nur, weil ich mit Thomas Eller einen erfahrenen Mehrtagesläufer an der Seite habe, für den z.B. die TTdR (Tortour de Ruhr(230km)) eine 28-30 h Sache ist und gewisse Ultratrails auf den Kanaren über 120km „Spielerei“ ist.  Er meint auch: „Deine Uhr läuft auch 24 h im selben Tempo und rennt nicht eine Stunde schneller, damit sie ‚Pause machen kann, also kannst Du das auch!“

Die Tage vorher sammelte man über soziale Netzwerke „Leidensgenossen, die ebenfalls zum allerersten Mal über diese Zeit antraten und ich war beruhigt, da viele genauso die „Hosen gestrichen voll“ hatten, wie ich. Ja, ich hatte Schiss, das Rennen anzugehen, ich gebe es zu! Wie kann ich nur so bekloppt sein, fragte ich mich fortwährend. Aber ich habe durch den Beginn meiner Läuferkarriere, die nach einer Halbseitenlähmung vor knapp 20 Jahren begann(!!!) solch einen Ehrgeiz an den Tag gelegt und bislang jedes Ziel erreicht, dass gerade dieser medizinische Aspekt mich reizt: Was ist ein durchschnittlicher Läufer zu leisten imstande und wie belastbar ist der Mensch? Dass ich kein Joey Kelly bin und kein Dieter Baumannn, ist klar, aber was genau kann ICH mit meiner Veranlagung reißen??

Dieser Erstversuch über solch eine Zeitspanne bedeutete auch für einige meiner Läuferkollegen eine Premiere, bzw. fand man sich vor Ort zu einer „Familie“ zusammen, um diese Veranstaltung heil zu überstehen.  Ständig machten wir uns im Netz gegenseitig verrückt, wie Hühner auf einen großen Haufen.

Die komplette Vorwoche wurde zur körperlichen und mentalen Vorbereitung genutzt und zu Gesprächen mit privaten Sponsoren, die der Grundschule Kohlberg einen kräftigen Schritt Richtung Niedrigseilgarten verhelfen wollen. Ich brauchte Ablenkung, man macht sich einfach verrückt. Was brauche ich, um 24h „online“ zu sein und via Runtastic  verfolgbar zu sein? Akkus alle da und aufgeladen? Genügend Wechselklamotten. 3 Paar Schuhe, genug Socken… Ich hätte am liebsten meinen ganzen Hausstand mitgenommen…

Das wird ein sehr einschneidendes Erlebnis in meinem Leben, da bin ich mir jetzt im Vorfeld schon sicher.

Die Strecke ist gut 1,2km lang und wird immer im Kreis gelaufen. Zur Zeit der Voranmeldung waren knapp 160 Einzelstarter gemeldet, unzählige  Mannschaften, sowie Schülerteams gemeldet. Es kann eigentlich nicht langweilig werden…

Es war Mittwoch vor dem Lauf: Auf einmal eine 180°-Wende in Sachen  Stimmung: Sämtliche 24 h-„Jungfrauen“  waren sich einig, dass wir uns am Freitag vor dem Lauf treffen zusammen Zelte aufbauen und  in die nahegelegene City gehen und eine Pastaparty machen. Auf einmal wurde aus der Angst eine fröhliche Stimmung , vergleichbar mit einem Musikfestival. Jeder bringt etwas mit und die Neulinge  (also wir alle!) laufen munter drauflos und werden uns keineswegs unter Druck setzen, und versuchen, das bestmögliche Ergebnis rauszuholen. Am  selben Tag bekam ich die ersten Spendenbeträge von der Sammelaktion in der Schule mitgeteilt und selbst das Kollegium der Lehrer legte nochmal kräftig zusammen. Von außen kommt durch Firmen und Privatpersonen nochmal dreistellige Summen zustande, und von einer Privatperson außerhalb stünden 400 Euro bei 150km auf dem Papier….Einerseits war ich stolz über den Stein, den ich ins Rollen brachte, andererseits bin ich jetzt in der Bringschuld und komme mir vor wie ein Fußballer vorm entscheidenden Elfmeter: Der Mut und die Bereitschaft sich diesem Druck zu stellen , macht mir doch zu schaffen. In keiner Sekunde lässt  sich das ausblenden. Um gut vorbereitet zu sein, durchlief ich nochmal physiotherapeutische Einheiten, Jetzt bloß keine Fehler mehr machen, ich übernehme mich noch früh genug…

Am Tag vor der Abfahrt (Donnerstag) kam dann doch wieder die Sinnfrage meines Handelns auf und ich muß mich wieder auf Wetterkapriolen gefasst machen, was natürlich nicht gerade zum Gelingen beiträgt. Ich weiß aber was ich kann und werde mir selbst ein Denkmal setzen. Anderer Gedankengang: Es gefällt mir so gut, das ich in 4 Wochen noch einen 24 er machen möchte… Möglich ist das☺

Ein Bekannter aus der Nähe von Würzburg lief ebenfalls zum ersten Mal mit bei sowas und wir verabredeten uns , um uns dort kennenzulernen! Chris Buchner, ist ein eher langsamer Läufer im der AK50 und möchte das einfach nur „überleben“☺

Am Freitag kam ich nachmittags in Delmenhorst an und stellte mein Zelt direkt n der Strecke ab. Die Orga dachte an alles: Ein Campingplatz mit fließend Wasser und Strom und so ließ man sich häuslich nieder. Es wurden viele „Ersttäter“ ausgemacht, die so ein ähnliches Ziel hatten wie ich und die , die schon Erfahrung hatten, rieten mir, viel zu Essen und zu trinken, denn in den 24 h  werden mehr als 10-15.000 Kcal verbraten. Trinken sowieso!

Das komplette Gelände wurde zu einer riesigen Zeltstadt und es wirkte sehr gut durchorganisiert. Die ganze Aufregung verschwand zugunsten einer gelassenen Stimmung.. So kann das bleiben!!! Chris und ich richteten unsere Zelte in dem Lager auf, gingen die Strecke einmal ab unter Begleitung eines streckenkundigen Laufjunkies und suchten uns dann ein Lokal, wo wir 2 kleine Portionen Nudeln aßen (Die Bedienung wunderte sich, wie man so viel essen kann….:-) ) und etwas noch vor unseren Zelten saßen. Die Stimmung verhielt sich abwartend und der Zeit hilflos ausgesetzt, ändern können wir es eben nicht mehr, egal, was kommt. Nach außen hin ruhig und gelassen, aber innerlich wie ein kleines Kind vor der Bescherung zu Weihnachten.

Das hier ist der Einstieg in den Ultrazirkus!!!

Die Nacht über hätte ich gerne gegen ein gemütliches Bett getauscht, wo man nicht durch vorbeilaufende Leute wachgehalten worden wäre. Ich hatte also nicht sonderlich viel geschlafen und war eher in einem „wachen Schlafzustand“.

Morgens wurde reichlich Brot mit Honig gefrühstückt, andere futterten Nudelsalate, aber irgendwie hatten Zehn Läufer 12  Essgewohnheiten, kam mir so vor?!

Mittels Facebook hielt ich die Gedanken und das Erlebte beim Laufen fest. Mittags um 12.00 starteten 160 Einzelläufer zu 24 h  „Masochismus“, sowie etliche Staffelläuferteams. Kollege Christian und meine Person wollten von Anfang an klar nach Taktik gehen, aber so langsam haben wir es nicht gelernt, zu laufen, so dass wir auf „Wohlfühltempo“ umstellten, ohne zu erahnen, was das für Problematiken mit sich bringen würde, aber dazu später… Zum Ziel,150km zu laufen, hatte ich so recht schnell einen Zeitpolster von mehr als 2 Stunden erlaufen, während sich mein Begleiter auf die 100km als Ziel fixierte. Die Runde von 1,2 km konnte ich die ersten beiden Stunden noch im 5er /5:30er Schnitt laufen. Vieeel zu schnell und irre von mir. Der Marathon war nach 4:30 gefallen!  „Überleben“ war das Ziel und es gab Momente, wo das Ziel getrost mal infrage gestellt werden durfte und des öfteren die Frage aufkam, ob das noch gesund ist, was wir hier machen. Es war nach nicht ganz 6 h, als ein heftiger Gewitterschauer niederkam, der viele Läufer zu einer Zwangspause verhalf, während einzelne unbeirrt weiterliefen. Das waren aber auch diejenigen, die sich im weiteren Verlauf etliche Blasen unter den Füßen scheuerten. Ich aß während der Pause in einem Verpflegungszelt einen Pott Pasta. Dieser Gewitterschauer brachte einen Bruch ins Rennen aller Teilnehmer: Ein Altersklassenkonkurrent, der noch vor mir lag, kämpfte auch mit Blasen und insgeheim hoffte ich, dass er seine Position auf 1 noch an mich abgeben würde im Falle eines Ausstieges…

Das Pensum, was manche ableisteten, war beeindruckend: Sie schnurrten wie ein Automotor und lieferten ein sehr schnelles, gleichmäßiges Rennen ab.

Die Verpflegung und das habe ich in der gut organiserten Art und Weise bei noch keinem Lauf gesehen, ließ keine Wünsche offen. Es gab nichts, was es nicht gab..  Jeder lief seinen Stiefel und dadurch, dass so viele Läufer gestartet waren, war man nie alleine, was gerade wichtig war, als es in die Nacht ging. Jegliches Zeitgefühl hatte man verloren, man ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt…Bis zur Dunkelheit   war ich 2. der Altersklasse und ohne Pokal gehe ich nicht aus der Nummer raus, nahm ich mir vor.

Wie lange wollte ich schon einmal 100km gelaufen sein?! Eine faszinierende Zahl unter Läufern und für „Normalsterbliche“ schier Unvorstellbar.

Es begann eine Zeitspane, über die gesagt wurde:“ Hier entscheidet sich das Rennen“, vermutlich weil viele Läufer schlafen gehen: Die Nacht!! Ich war so voll Adrenalin und Zielstrebigkeit, dass ich nicht einen Moment daran dachte, wich zur Ruhe zu begeben, sondern nach der Doppelmarathonmarke (84km ) schnell die 100km zu erreichen und nahm mir das Unterfangen für die Zeit bis 1.00 h nachts vor. Dass es bis halb 2 dauerte,  verdanke ich der Witterung, die mich etwas lahmer werden ließ (strömender Regen), aber ich arbeitete mich regelrecht vor . Vom Gesamt 29. Auf den 15. Rang zum Zeitpunkt 02.00 h.

Es war der Krieg zwischen Psyche und Körper!

Die Ehrenrunde mit der 100er Fahne war schon ein emotionaler Moment für mich,weil ich hierbei an meine Oma dachte, zu deren Lebzeiten ich zu gerne die 100km laufen wollte… Nun also nur noch 50 km und das Minimalziel ist erreicht. Ich weiß nicht, warum, aber in der Zeit von Mitternacht bis 02.00 h hatte ich meine stärkste Phase und ich konnte Tempo zulegen. Aber kaum, dass die 100km erreicht waren, schaltete der Kopf ab, denn es gab in dem Sinne nichts Größeres zu erreichen, da sich ein „Lebenstraum“ erfüllt hatte… Da wir ja fast Mittsommer haben, wurde es gegen 04.00h  schonwieder hell, nachdem es in der Nacht nochmal kontinuierlich geregnet hatte.  Zu meiner Überraschung fand ich mich auf einmal auf der Anzeigentafel auf dem ersten Rang der M35 wieder. Ich war irritiert, wie das sein konnte, nahm es aber gleich kämpferisch auf: Das gibst Du nicht mehr her“- und schon war das neue Ziel gegeben. Der Körper hatte sich soweit aufgegeben, dass er nur noch schnell marschieren konnte und pro Runde bis zu einer Viertelstunde brauchte, was anfangs innerhalb 7 min zu erledigen war… Ich ließ viel Zeit liegen, aber verlor das Vorhaben 150 nicht aus den Augen. Aber es gab einen hartnäckigen Verfolger, den ich auf Distanz halten wollte und beobachte die Entwicklung mit jeder Runde auf der Anzeigentafel neu.

Die Zeit rannte schneller als mir lieb war und  ich gab mich mit dem Glauben zufrieden, 140 , mehr werden es nicht.. Der Kopf gab sich noch nicht geschlagen, der Körper aber singnalisierte mir durch intensives Schmerzempfinden, dass er eigentlich nicht mehr kann. Immer wieder im Blick nach jeder Runde den Vorsprung auf den Zweitplatzierten, der gehalten werden konnte.  Es war hell geworden und die Füße wurden nicht leichter, ich hangelte mich von km zu km und ein Helfer des Orgateam hielt mich auf dem Stand der Dinge, was den Vorsprung anging und solidarsierte sich mit mir, um mir den Sieg der AK zu sichern. Er „peitschte mich verbal „ mich von Meter zu Meter und begleitete mich („Komm, bis dahin laufen wir noch, dann kannste Pause machen und wir sehen, was der Zweite macht und wo ersteht. Das machte er aber nicht einmal, aus dem anfänglichen  „Wir gehen „ bis dahin, summierten sich noch etliche Kilometer- und ich konnte nicht mehr, die Beine machten „dicht“, die Füße scheuerte wegen der Nässe und irgendwann kamen erste Wadenkrämpfe. Aber ich wollte in meinem ersten 24 h Lauf die Chance wahren, einen Altersklassensieg mitzunehmen. Erst als ich wirklich nicht mehr laufen konnte und ich genug  Vorsprung hatte, um die Führung über die Zeit zu retten. Ich hatte den Sieg der M35 mit 147km geschafft, wenngleich es am Ende mächtig knapp wurde…  Christian Buchner drohte wegen eines komplett entzündeten Unterschenkels und einer dicken Schwellung von Ärzten  in der Nacht bei km 80 aus dem Rennen genommen zu werden. Er zog aber irgendwie bis 07.00 h noch durch, bis er die 100 km geschafft hatte und brach dann ab.

Für die kommende Nacht blieb ich in einem Hotel, um nicht übermüdet heimzufahren. Wie geistig einen solch ein Lauf  wegtreten lässt, zeigte sich kurz am Abend nochmal, als ich bei einem Telefonat anscheinend so wirr geredet haben muss und geistig nicht Herr meiner Sinne, dass ein kurzer Moment der Sinn dieser Anstrengung infrage gestellt wurde…. Aber  mit Abstand von gut mehr als 30 h nach Ende sage ich meine Teilnahme für 2017 zu, wenn ich in Köln im Herbst auf dem Marathon 3:10 h schaffe…:-) Laufen ist eben eine Sucht und mentales Training….

Im Nachhinein erfuhr ich dann, dass erfreuliche 2000,- die Spendenkasse gefüllt hatten, was auch so in meiner Vorstellungskraft des Möglichen gelegen hatte!

Für soetwas macht man gerne schonmal die Nacht zum Tag☺